Rede von Frank A. Meyer zur Vernissage der zweiten Ausstellung am 20. April 2005

Restaurant Cooperativo, Zürich. 20. April 2005

Zu seinen Lebzeiten war Mario Comensoli Avantgarde – er malte! Er malte Bilder. Auf Leinwand. Er malte Menschen, erkennbar, erlebbar. Wer einen Comensoli kaufte, der liess sich auf eine Erweiterung des Familenkreises ein.

Heute ist Mario Comensoli nicht mehr Avantgarde. Heute ist er zeitgemäss. Man malt wieder: Man darf wieder malen, sogar erkennbare, erlebbare Menschen.

Mario Comensoli ist nicht nur in seiner künstlerischen Ausdrucksform zeitgemäss. Er ist aktuell mit seinen Themen, also mit seinen Bildern, die uns die Tiefen gesellschaftlich-kultureller Entwicklungen in einer poetisch gemeisterten Aesthetik erschliessen.

Ja, Mario Comensoli ist ein Poet. Um Poesie in Farbe und Form ging es ihm immer. Was er sagen wollte, wusste er. Wie er es sagen wollte, das war sein künstlerischer Kampf.

Mario Comensoli ist ein Klassiker. Auch seine frühen Werke haben Bestand. Sie sind nicht abgelegte Thematik. Sie provozieren den Betrachter nach Jahrzehnten zu neuer Interpretation. Sie haben mit uns zu tun, weil Zukunft Herkunft braucht.

Mario Comensolis Werk ist künstlerische Substanz unserer modernen Gesellschaft. Der einsame und kühne Maler hat auch den Verfall gesellschaftlicher Bindungen poetisch bewältigt. Er hat der verzweifelten Drogenjugend künstlerische Würde verliehen. Der ganze Bogen unserer Kultur ist in seinen Bildern zu finden: von der konstruktiven Gastarbeiterkultur über die revoltierende Jugendkultur bis zur destruktiven Drogenkultur.

Nichts war diesem grossen Poeten mit dem Pinsel fremd, was uns, was der Gesellschaft, die ihn umgab, fremd war. Er hat uns vertraut gemacht mit uns selbst.