In Paris lernte er den Postkubisten Giuseppe Orazi kennen, dessen Kunst ihm einen ersten Weg wies, Form, Farbe und Erzählung in Einklang zu bringen.
PEINTURE DU MOUVEMENT
Bei seinen Paris-Aufenthalten ist Mario Comensoli mit Mirò, Borès, die Brüder Diego und Alberto Giacometti, Pignon u.a. in Kontakt gekommen. Ein heute vergessener Künstler, Giuseppe Orazi (1906-1979), war es, der direkt oder indirekt einen Konflikt auslöste, der sich schliesslich auf Comensolis Schaffen sehr fruchtbar auswirkte. Im Herbst 1949 mietete sich während eines Monats bei Orazi, den er schon früher kennen gelernt hatte, im Montparnasse-Quartier ein und arbeitete, wenn nicht in Ateliergemeinschaft, dann doch in seiner Nähe. Diese Begegnung regte ihn zu post-kubistischen, puzzleartigen, dynamischen Werken im Stil Orazis an. Orazi war Franzose mit italienischen Wurzeln, der fliessend italienisch sprach. Sich mit einem Künstler in Paris in der Muttersprache unterhalten zu können, muss die Sympathie zum damals erfolgreichen Kollegen noch vertieft haben. Der Begriff «peinture du mouvement» soll vom französischen Kunstkritiker Jean-Pierre Pietri in Bezug auf Orazis Schaffen geprägt worden sein. Mario Comensoli übernahm ihn für seine Bilder. Inwiefern Orazis Schaffen vorbildlich wirkte, wie weit es ihn beeinflusste, lässt sich nicht beurteilen. Möglicherweise haben sich die beiden gegenseitig inspiriert. Im Internet ist ein Fussball-Bild Orazis aus dem Jahr 1950 zu sehen. Mario Comensoli malte bereits 1949 Fussballer.
Im Frühjahr 1953 fand im Zürcher Helmhaus die erste grosse, ja museale Einzelausstellung statt. Im Zentrum standen die picassesken Bilder, die grossformatigen, zum Teil riesenformatigen «Peintures du mouvement» und seine wenigen plastischen Arbeiten. Das Echo war fast ausnahmlos positiv; man sah im 31-jährigen den Vertreter einer neuen, weltoffenen, mit den internationalen Tendenzen verbundenen Kunst. Comensoli hätte Gründe gehabt, im Stil der «Peinture du mouvement» weiterzuarbeiten.
Den Anstoss zum Neubeginn ergab ein kleiner Artikel, der mehr als ein halbes Jahr nach der Helmhaus-Ausstellung in der Pariser Wochenzeitung «Les lettres françaises» erschien, in dem Comensoli – von Orazi veranlasst? – ein Plagiatsvorwurf gemacht wurde. Comensoli reagierte heftig. Als er in dieser Angelegenheit einen Rechtsanwalt bemühte, nahm die Affaire fast groteske Züge an.
Als Orazi-Plagiator wollte Comensoli nicht diffamiert werden. Er besann sich auf seine eigenen Wurzeln und begann seine Serie der realistischen Immigranten-Bilder, inspiriert von Arbeitern, die er fast täglich beim Mittagessen in kostengünstigen Restaurants traf. Die Kunsthauptstadt Paris und ihre neuen Kunsttrends hatte nun für Comensoli ihren Glanz verloren.