Kampf mit den Dämonen

1948 beschloss die Katholische Kirchgemeinde Meilen eine Kirche zu bauen. An der Goldküste waren damals vor allem die Dienstboten katholisch, entsprechend verfügte die Kirchgemeinde bloss über bescheidene Mittel. Ausgeführt wurde das Projekt von Otto Glaus (1914– 1996), der mit Comensoli befreundet war. Glaus hatte erst spät Architektur studiert, die Kirche Meilen war einer der ersten Aufträge, die das 1945 gegründete Architekturbüro erhielt. Am 10. Juni 1951 konnte die Kirche geweiht werden, ohne künstlerischen Schmuck.
In den folgenden Wochen malte Comensoli sein Wandbild. In der Broschüre «Die Geschichte der katholischen Pfarrei St. Martin in Meilen» aus dem Jahr 1983 liest man, das Gemälde sei von einem Gönner geschenkt worden. Gemäss einem Artikel in der Weltwoche (25.1.1952) war der Stifter der Architekt Otto Glaus.

Am 20. November 1950 schreibt Comensoli dem höchsten Schweizer Denkmalpfleger und ETH-Professor Linus Birchler (1893–1967), der sich 1946 beim Stadtpräsidenten von Lugano für den jungen Künstler eingesetzt hatte. Birchler war als Männedorfer mit dem Kirchenbau in Meilen bestens vertraut. Comensoli beschreibt sein Projekt, das aus einer 1 Meter hohen Figur Johannes des Täufers am Rand des Taufbeckens und einem Wandbild zum Thema der Taufe Christi bestehe, das auf eine hierzulande noch nie gesehene Art und Weise figurativ sein soll. Von der Täuferfigur legt er eine «fotografia malfatta» bei. Ausserdem bittet er Birchler, bei Glaus ein gutes Wort für seinen Entwurf einzulegen. Offenbar war die Begeisterung des Architekten Glaus nicht allzu feurig.

Birchler reagierte umgehend, schreibt aber bloss, dass der Kirchgemeinde das Geld für den künstlerischen Schmuck fehle.

Dass Birchler mit Comensolis Bild in keiner Weise einverstanden war, zeigte sich nach der Ausführung. Offen- sichtlich hatte der Künstler in der Kirchgemeinde einen oder mehrere Fürsprecher, die sogar bereit waren, für das Wandbild den üblichen Bewilligungsweg, der über den Churer Bischof lief, zu missachten. Wohlweislich wurde der Maler erst nach der Kirchenweihe an die Arbeit gelassen. Die plastische Täuferfigur liess man weg (vermutlich aus Kostengründen, sie hätte in Bronze gegossen werden müssen).

Im September brach ein Gewitter des Unwillens und der Ablehnung über Comensoli herein. Ferdinand Pfammatter, der als ausführender Architekt beim Kirchenbau beteiligt war, schrieb Glaus: «… Es ist auch möglich, dass Sie über mich ungehalten sind wegen meines Urteils über das Taufsteinbild. Ich sagte dies nicht deshalb, weil auch Prof. Birchler seine Entfernung dringend wünscht, sondern weil ich ein solches Bild für eine Beleidigung des Auges, der menschlichen Gefühle und des Gotteshauses selbst empfinde. Ich weiss ja nicht, inwiefern Sie mitbeteiligt sind, doch ich muss Ihnen sagen, dass jeden Sonntag der Widerstand und Unwille in Meilen wächst über diese Tat und dass es zur Entfernung kommen muss.»

Birchler schrieb zur selben Zeit – in impulsiver Eile, er befand sich an einem Kongress in Lausanne – einen Brief (an wen? Der Adressat fehlt), von dem Comensoli eine Abschrift zugespielt worden ist. Ein vehementes Verdikt. Heftiger kann man ein Kunstwerk kaum ablehnen: «Comensolis Bild (subjektiv sehr ernst gemeint) ist das Extremste, das Absurdeste, was je in einer Kirche als kirchliche Kunst geschaffen worden ist. – Bezahlt den Künstler, photographiert nach Herzenslust, lasst Max Bill und Egender und Giedion in Ekstase geraten – und überweisselt dann, rasch, rasch!»

Am 4. Oktober 1951 sandte Mario Comensoli Brief an die Kath. Kirchenpflege Meilen, in dem gegen die Beschädigung des Bildes protestiert wird. Kurz darauf wurde das Bild, um weitere Beschädigungen zu verhindern, abgedeckt. Wie lang es sich in «Schutzhaft» befand, lässt sich nicht herausfinden. Die Beschädigungen sind längst ausgebessert und die Proteststürme verklungen.

In der damaligen Zeit wurden viele neue Kirchen gebaut. Die spektakulärste ist jene von Ronchamp, eines der Hauptwerke Le Corbusiers. Häufig wurden in dieser Phase des Neuaufbruchs avantgardistische Künstler zur Ausschmückung beigezogen. Und fast ebenso oft kam es zu Konflikten zwischen den Traditionalisten und den Fortschrittlichen. Der Kunststreit von Meilen ist eingebettet in ähnliche Ereignisse.

Mitteilungsblatt der Comensoli-Stiftung 1/2012